Wie zehn Vögel die Welt veränderten von Stephen Moss


Abwechslungsreich gehaltenes Sachbuch, das eine große Bandbreite an Themen abdeckt

 

Die zehn Vögel, die die Welt veränderten, sind für Stephen Moss der Kolkrabe, der Guanokormoran, der Schmuckreiher, der Weißkopfseeadler, der Feldsperling, der Kaiserpinguin, der Truthahn, der bereits ausgestorbene Dodo, die Darwinfinken, die nicht einen einzigen Vogel, sondern eine Sammlung von 14-16 verschiedenen Vogelarten darstellen, sowie die Haustaube als der Vogel, den ich am wenigsten in diesem Buch zu finden erwartet hatte. Jedes Kapitel wird von einer schön illustrierten Zeichnung des Vogels, der darin behandelt wird, eingeleitet. Die Beschreibung des jeweiligen Vogels ist recht ausführlich geraten, ohne dabei jedoch Längen für mich zu haben. Dazu trägt auch der gut lesbare Schreibstil des Autors bei, der von zum wiedergegebenen Inhalt passenden Zitaten ergänzt wird, indem diese in stimmiger Weise eingebunden sind. Die einzelnen Kapitel sind abwechslungsreich ausgefallen, da neben dem speziellen Schwerpunkt, den sie setzen (u.a. zur mythologischen Bedeutung und deren Einfluss auf die Literaturgeschichte, zum heldenhaften Einsatz in verschiedenen Kriegen, zur Evolutionstheorie und -biologie), eine große Bandbreite weiterer Themen angeschnitten wird.

 

Schwerpunkt Mythen am Beispiel des Kolkraben
Beispielsweise steht beim Kolkraben dessen Auftreten in Mythen im Mittelpunkt. Das beginnt bei den berühmten Odin Raben Hugin (“Gedanke”) und Munin (“Gedächtnis” oder “Geist”), denen der Gott den Beinamen Ravneguden (“Rabengott”) verdankt, reicht über den Raben als Schöpfer der Erde und des Universums, als den ihn die indigenen, im Pazifischen Westen Nordamerikas angesiedelten Völker angesehen haben, bis hin zu seiner Rolle als Trickster, in der er im russischen Kamtschatka wahrgenommen wurde. Die mythologischen Anfänge, die den Ursprung des Bildes vom Raben markieren, unterlegt Stephen Moss mit begründeten Spekulationen vom Zusammenleben des Menschen mit dem Raben, das einst vor dem Übergang vom Jäger und Sammler zum Ackerbauern vor rund 10.000 Jahren symbiotisch gewesen ist.

 

Zum Auftreten des Raben in der Literaturgeschichte bis hin zu Film und Fernsehen
Im Anschluss daran zitiert sich der Autor einmal quer durch die literarische Welt. Dazu hätte ein chronologisches Vorgehen entlang der literarischen Zeitachse, bis die Gegenwart in Gestalt der Popkultur erreicht wird, besser als die sprunghafte Erzählweise gepasst. Denn eine systematische Behandlung hätte dieses Kapitel übersichtlicher ausfallen lassen. Dabei erwähnt Stephen Moss etwa die Rolle, in der Shakespeare den Raben Leitmotiv-artig in verschiedenen Stücken auftreten lässt, den Raben Grip, den sich Charles Dickens als Haustier hielt und in seinem Roman Barnaby Rudge verewigt hat, sowie das bekannte Gedicht von Edgar Allen Poe, das um einen Raben kreist. Diese Klassiker der literarischen Welt werden mit aktuelleren Werken verknüpft, indem deren Einfluss auf den Hobbit von J. R. R. Tolkien, das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Martin, Disney-Filme und eine Halloween-Folge der Simpsons wiedergegeben wird.
Weitere Themen, die im Kapitel des Kolkraben angeschnitten werden, betreffen u.a. eine allgemeine Beschreibung dieses Vogels, dessen Unterscheidung von dem ihrem Äußeren nach ähnlich aussehenden Krähen, seine Intelligenz sowie dessen unabhängiges Verhalten, das wohl seine Vermenschlichung begründet und ihn von der Taube etwa in der Geschichte von der Arche Noah abgrenzt.

 

Unerwartetes Wissen über die Haustaube zur Ehrenrettung dieses sonst so geächteten Vogels
Von den zehn Vögeln, die die Welt veränderten, hat mich die sonst so geächtete Haustaube, der Stephen Moss eine besondere Aufmerksamkeit schenkt, am meisten überrascht. Der thematische Schwerpunkt liegt dabei auf deren heldenhaftem Einsatz in verschiedenen Kriegen, zu denen u.a. der Napoleonische Krieg Anfang des 19. Jahrhunderts sowie der erste und zweite Weltkrieg zählen. In diesen hat die Taube sogar Menschenleben gerettet, wenn sie als Bote Nachrichten überbracht hat. Ein Beispiel dafür ist Cher Ami, die das Überleben des Lost Bataillon sicherte. Deswegen hat sie von der französischen Regierung das Croix de Guerre mit Palmzweig erhalten und ist nun im National Museum of American History in Washington ausgestellt. Auch die Crew eines Flugzeugs, das nach dem Einsatz zu einer Notlandung im Wasser gezwungen war, verdankt Winkie ihr Leben, als dieser Vogel zweihundert Kilometer weit nach Hause geflogen ist, obwohl er von Salzwasser und Öl durchtränkt war. Zudem entkräftet der Autor die meisten Behauptungen, die heutzutage angeführt werden, um die Vertreibung und Ausrottung von Tauben in den Städten zu rechtfertigen.

 

Auseinandersetzung mit Legenden, die sich um die Darwinfinken ranken
Ebenfalls räumt Stephen Moss im Kapitel der Darwinfinken mit der Legende auf, dass Darwin seine Erkenntnisse zur Evolutionstheorie quasi als blitzartige Eingebung auf seiner Reise zu den Galapagos-Inseln hatte, während er die dort heimischen Finkenarten studierte. Denn sein Werk zur Evolutionstheorie hat Darwin erst ein Vierteljahrhundert später verfasst. Auch finden sich diese Finken in den Einträgen seiner Reisetagebücher kaum erwähnt. Andere Tiere hatten ihn da weit mehr interessiert. In diesem Kapitel geht der Autor dem Ursprung der Legende um die Darwinfinken auf den Grund und legt eine Zeitachse an, die deren erstes Auftreten und die daraus resultierende, immer weiter um sich greifende Verbreitung illustriert. Dieser werden dann die Biologen gegenübergestellt, denen schließlich der Nachweis für die Bedeutung der sog. Darwinfinken auf die Evolutionsbiologie gelungen ist. Dazu zählen Hobby-Ornithologe und Vater der Evolutionsökologie David Lack, der im zweiten Weltkrieg zu den Galapagos-Inseln gereist ist, sowie das Biologen-Ehepaar Peter und Rosemary Grant, die in einer Langzeit-Feldstudie auf Daphne Major das sprunghafte Voranschreiten des Prozesses der adaptiven Radiation (d.h. der Diversifizierung einer Vorgängerart in verschiedene ökologische Nischen) beobachten konnten.

 

Detaillierte Anhänge und Anregungen zur Verbesserung dieses interessanten Sachbuchs
Abgerundet wird "Wie zehn Vögel die Welt veränderten" von einer ausführlichen Liste, die Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln enthält, sowie einem detaillierten Literaturverzeichnis. Dabei haben mir aber Übersichten etwa in Form von Steckbriefen gefehlt, die ich im Anschluss an die Lektüre dieses Sachbuchs zum Nachschlagen hätte verwenden können. Zumindest für die zehn Vögel, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist, hätte ich dies als sinnvoll erachtet. Gewünscht hätte ich mir dies aber auch für die vielen, zusätzlich auftauchenden Vögel wie beispielsweise den Rotmilan, die Saatkrähe, den Wanderfalken oder die Spottdrossel, die vom Autor oft nur nebenher erwähnt werden. Solche Steckbriefe hätten neben der wissenschaftlichen Bezeichnung des Vogels bestehend aus Gattung und Art Informationen zu seinem Aussehen (u.a. zu seiner Größe und Flügelspannbreite), seinem Verbreitungsgebiet, seinem Verhalten und dessen Abgrenzung zu anderen verwandten Arten, mit denen er sich leicht verwechseln ließe, umfassen können.

 

4 Sterne ****

 

Allgemeine Angaben zum Buch:

  • Originaltitel: Ten Birds That Changed the World
  • Herausgeber: Gräfe und Unzer
  • Erscheinungsdatum: 4. Mai 2023
  • Seitenzahl: 320
  • ISBN-10: 3833891815
  • ISBN-13: 978-3833891816
  • Preis: 24 €