Die den Schnee fürchten von H.S. Palladino

 

Durch seine intensive Atmosphäre bestechender Thriller, der mit einer ungewöhnlichen Hauptfigur überzeugt

 

Zum Inhalt: Bjørk Isdahl, die früher als Profilerin für die Polizei tätig gewesen ist, verbringt einen kalten Winterabend alleine, als sie unerwartet einen Anruf von Azora erhält. Die ist ihr aus ihrer Jahre zurückliegenden Praktikumszeit in einer Entzugsklinik bekannt. Azora beharrt darauf, dass sie Bjørk unbedingt sprechen muss und lockt sie mit der Aussicht, dass sie weiß, warum Bjørk von Albträumen geplagt wird, zu einem Treffen in eine einsame Gegend. Doch der Abend nimmt eine fatale Wendung und Bjørk gerät in einen Strudel aus Ereignissen, der sie in den Abgrund zu ziehen droht, als sie mit ihren Nachforschungen beginnt.

 

Zur Charakterisierung von Protagonistin Bjørk Isdahl

Mit Bjørk hat H.S. Palladino eine passende Hauptfigur für ihren düsteren Roman, der über weite Strecken erst eine Kombination aus Psychothriller und Drama darstellt, gefunden. Bjørk, die sich wie ihr Ex-Freund Kristian feststellt, über ihre Arbeit definiert, die sie etwa über deren Beziehung stellt, lässt sich auch anhand ihres beruflichen Werdegangs beschreiben. Nach ihrem Studium der Psychologie und einem Praktikum, das sie in Kontakt mit Drogenabhängigen gebracht hat, hat sie bei der Polizei angefangen. Als Profilerin ist sie jedoch weniger spektakulären Serienmördern auf der Spur gewesen, von denen es nicht so viele in Norwegen gibt, sondern hat gewöhnliche Täter dank ihrer guten Intuition und der präzisen Analyse ihres Verhaltens überführt. Nachdem eine Fehleinschätzung ihrerseits den Tod eines Verdächtigen zur Folge gehabt hat, ist sie aber zur meistgehassten Frau Norwegens geworden und musste ihre Arbeit bei der Polizei aufgeben. Nun betreut sie, um über die Runden zu kommen, eine Gruppe von Männern mit Aggressionsproblemen, die sie bei deren Bewältigung unterstützt.

 

Zur abgründigen Seite des sonst so beschaulichen, wohlhabenden Oslo

In eindringlich geratenen Beschreibungen hat H.S. Palladino mir schnell ein Gefühl für ihre Hauptfigur Bjørk vermittelt, die sich selbst für die Fehleinschätzung bestraft, die sie den Job gekostet hat. So hat sie insbesondere ihre Beziehung zu ihrem Ex-Freund Kristian sabotiert, obwohl sie diese glücklich gemacht und sie ihn wirklich geliebt hat. Zudem zweifelt Bjørk an ihrem eigenen Urteilsvermögen und stellt in zunehmendem Maße ihre Intuition in Frage, auf die sie sich früher stets verlassen konnte. In stimmiger Weise wird das ergänzt von einer erst primär im Drogenmilieu angesiedelten Handlung, in dem Bjørk mit ihren Nachforschungen beginnt. Denn zunächst befragt sie Obdachlose, wenn sie mehr über Azora, die auf der Straße gelebt hat, und insbesondere ihre Vergangenheit in Erfahrung zu bringen sucht. Die Abgründe, die sich dabei auftun, liegen mehr in der Tragik der Nebenfiguren begründet, wenn Bjørk nach und nach mehr über deren hartes, erbarmungsloses Leben auf der Straße lernt. Selten hat das sonst gleichermaßen wohlhabende wie beschauliche Oslo so düster wie in den Beschreibungen in diesem Thriller gewirkt, wenn von H.S. Palladino als Schauplätze der Handlung erst Obdachlosenschlafplätze, Drogenhöhlen und Entzugskliniken gewählt werden, die ein Bild, das von Elend, Hoffnungslosigkeit und Armut geprägt ist, heraufbeschworen haben.

 

Zum Spannungsaufbau in diesem Thriller, der von einem diffusen Bild der Bedrohungslage geprägt ist

"Die den Schnee fürchten" von H.S. Palladino wird in zum Titel passender Weise von der Schilderung eines Albtraums eingeleitet, indem Schnee eine zentrale Rolle spielt. Davon wird Bjørk oft in der Nacht gequält, obwohl sie sich diesen Traum nicht erklären kann. Im weiteren Verlauf dieses Thrillers schafft es die Autorin, für lange Zeit im Unklaren zu lassen, von welcher Seite eine möglicherweise im Leben ihrer Hauptfigur vorhandene Bedrohung herrühren mag. Dabei gelingt es Palladino in der Schwebe zu halten, welche der Ereignisse sich nur im Kopf von Bjørk abspielen und welche nicht, wenn sie in geschickter Weise mit der Frage spielt, welchen Teil der Handlung dieses Romans sich Bjørk nur eingebildet hat und was tatsächlich passiert ist. Ist sie von einem unerkannt gebliebenen Stalker bis zu sich nach Hause verfolgt worden, der sie zudem mit Anrufen terrorisiert? Hat sie selbst das Fenster in ihrer Küche offen gelassen oder ist ein Fremder in ihr Heim eingebrochen?

 

Mein Fazit zum Schluss

Palladino gelingt es, in der von ihr erzählten Geschichte von Anfang an ein diffuses Gefühl der Bedrohung zu erzeugen, das sich erst allmählich einschleicht, um sich dann nach und nach zu intensivieren. Verstärkt wird das von einer ganzen Reihe von Verdächtigen, die von der Autorin dadurch eingeführt werden, dass Hauptfigur Bjørk alles und jeden in Frage zu stellen beginnt. Obwohl dabei erst einmal über weite Strecken recht wenig passiert, ist es Palladino zumindest bei mir gelungen, durch die verschiedenen, von ihr aufgeworfenen Fragen Spannung in ihrem Thriller aufzubauen. Dazu zählen beispielsweise: Ist Azora von ihrem Drogendealer unter Druck gesetzt worden? Was hat Azoras Ex-Freund zu verbergen? Kann Bjørk den Mitgliedern ihrer Aggressionsbewältigungsgruppe trauen? Und welche gemeinsame Vergangenheit teilen Azora und sie? Ergänzt wird dieses Arsenal von Fragen um eine beklemmend intensive Atmosphäre und eine Vielzahl potentieller Verdächtiger, zwischen denen Bjørk sich nicht zu entscheiden vermag. Dabei konnte Palladino auch mich mit dem zum Schluss enthüllten Täter überraschen, den ich zwar im Verdacht hatte, dessen Motiv ich so aber nicht habe kommen sehen.

 

4 Sterne ****

 

Allgemeine Angaben zum Buch:

  • Originaltitel: Den som frykter snøen
  • Herausgeber: Blanvalet Taschenbuch Verlag
  • Erscheinungsdatum: 13. Dezember 2023
  • Seitenzahl: 448
  • ISBN-10: 3734112710
  • ISBN-13: 978-3734112713
  • Preis: 12€