Mr. Loverman von Bernardine Evaristo

 

Leichtfüßig erzählte Dramedy über fünfzig Jahre Ehe von Carmel und Barry

 

Inhalt: Barrington Jedidiah Walker zieht trotz seines hohen Alters des Nachts noch um die Häuser und durch die Clubs in London. Dort trifft er sich mit seinem besten Freund und Liebhaber Morris Courtney de la Roux. Schon als Barry seine Frau Carmel vor ihrer Auswanderung nach England geheiratet hat, hat er Morris auf Antigua kennen und lieben gelernt. Barrys strenggläubige Frau hält ihm seine fortwährende Untreue vor, derer sie ihn allerdings nie zu überführen vermochte. Denn Carmel ist überzeugt davon, dass Barry sie mit anderen Frauen betrügt. Der schon lang schwelende Konflikt eskaliert, als Carmels kranker Vater im Sterben liegt und sie in die Heimat fliegen will, um sich nach dreißig Jahren Funkstille von ihm zu verabschieden. Denn da beschließt Barry sich von ihr zu trennen.

 

Protagonisten Barry Walker und seine Frau Carmel
Mr. Loverman wird abwechslungsreich von Bernardine Evaristo aus verschiedenen Perspektiven auf mehr als einer Zeitebene erzählt. In der Gegenwart, mit der London im Jahre 2010 gemeint ist, werden die Ereignisse aus Sicht von Barry geschildert, der da bereits 74 Jahre alt ist. Die Vergangenheit, die im Jahr 1960 beginnt, in dem Barry und Carmel geheiratet haben, um dann in Zeitsprüngen von mehr als zehn Jahren fortgeführt zu werden, ist aus Sicht von Barrys Frau Carmel beschrieben.
Dabei habe ich Barry als Lebemann, der stets zu einem Scherz aufgelegt ist und seine Umgebung mit seinem Humor unterhält, als interessantere Figur empfunden. Barry hat seine Arbeit bei Ford wegen seiner Kollegen und der Tätigkeit mit den Händen geliebt, ist aber über sein Investment in Immobilien, die er günstig gekauft, renoviert und dann vermietet hat, zu Geld gekommen. Trotz seiner heiteren, lässigen Art trägt er aufgrund seiner ein ganzes Leben lang währenden Liebe zu Morris einen tiefen Konflikt in sich.
Barrys Frau Carmel wird dagegen von der Autorin in älteren Jahren als streng gläubige Kirchgängerin eingeführt, um sie im Anschluss daran als junges, naives Mädchen vorzustellen, das sie gewesen ist, als sie Barry geheiratet hat. Als stärker hätte ich diese Figur empfunden, wenn ich sie so hätte kennenlernen dürfen, wie Barry sich gern an sie erinnert. Als in der Frauenbewegung Engagierte der ersten Generation, die sich politisch für Bergarbeiterstreiks und die nukleare Abrüstung interessiert und nach ihrem Studium beim Wohnungsamt Karriere gemacht hat, bis sie als Bereichsleiterin für zweitausend Immobilien verantwortlich gewesen ist.

 

Besondere Erzählweise in Carmels Kapiteln vs. Barrys überzeichneter Humor
Dennoch haben mich am Anfang von Mr. Loverman die Kapitel, die die Sicht der jungen Carmel vor exotischer Kulisse in der Karibik beschreiben, eher überzeugt. Das liegt in deren besonderer Erzählweise begründet, die mir auch aus anderen Romanen von Bernardine Evaristo bekannt ist. Diese ist von einem eigenwilligen Rhythmus geprägt und mutet fast ein wenig poetisch an.
An Barry hat mich schnell sein Humor gestört, von dem seine Gedankengänge triefen. Dazu zählt etwa das "(Be-dauer-licher-weise.)", das als Running gag gedacht ist, mir aber bald auf die Nerven gegangen ist. Dass Barry nach außen hin den Clown spielt, der alles mit Humor nimmt und zudem versucht angespannte Situationen durch Scherze aufzulockern, ist mir ja noch eingeleuchtet. Hingegen hätte ich mir gewünscht, dass in den aus seiner Sicht geschilderten Kapiteln, in denen ich eigentlich ganz nah dran an seinen Zweifeln, Sorgen und Ängsten hätte sein sollen, diese doch stärker zum Tragen gekommen wären. Ein Beispiel dafür sind die einfühlsamen Szenen, in denen sich Barry an seinen großen Bruder erinnert. Doch indem solche Momente viel zu rar gesät sind, ist bei mir der Eindruck entstanden, dass Barry nichts ernst nehmen kann. Das nimmt dann dem Drama in seinem Leben die Wirkung und lässt seine Schwierigkeit sich zu einer Entscheidung durchzuringen, ob er wirklich zu seiner wahren Liebe Morris stehen und seine Frau Carmel verlassen soll, unglaubwürdig wirken.

 

Umfangreiches Arsenal gelungener Nebenfiguren
Gelungen finde ich die zahlreichen Nebenfiguren, obwohl diese in ihren kurzen Auftritten ziemlich überzeichnet sind. Dazu zählen beispielsweise Carmels Freundinnen Miss Merty, die die Anführerin der Truppe ist, die früher so schöne Miss Drusilla, die zu eigenartigen gedanklichen Ergüssen neigende Miss Asseleitha und die konfliktscheue Miss Candaisy. Auch Barry sind Carmels Freundinnen, die in 2010 ebenso treue Kirchgängerinnen wie seine Frau sind, noch aus ihrer Jugend in St. John’s bekannt. Carmel und ihre Freundinnen treffen nebst Carmels Tochter Donna, die immer Partei für ihre Mutter ergreift, und deren Sohn Daniel, dem Barry die teure Privatschulausbildung finanziert, bei einem legendären Sonntagsessen auf Barry und Morris. Der bei Tisch eskalierende Konflikt, in den die Autorin die eingangs so harmlose Unterhaltung ausarten lässt, ist großes Kino auch wegen der dabei unerwartet gezogenen Fronten und überraschenden Abgänge.
Als gelungen habe ich zudem die Auftritte von Barrys jüngerer Tochter Maxine empfunden so wie deren Aufeinandertreffen mit Barry und Morris in einem Coffeeshop. Denn die als Stylistin tätige Maxine, die seit bereits elf Jahren 29 ist, fühlt sich nun zu Höherem berufen und möchte sich als Modedesignerin versuchen.

 

Kleine Kritikpunkte
Da die Beschreibung der schwierigen Beziehung von Carmel und Barry in ihren dramatischen Momenten - wie etwa der Schilderung von Carmels postnataler Depression nach Maxines Geburt - weit stärker ist, hätte ich mir gewünscht, dass sich der Humor in diesem Roman auf seine skurrilen Nebenfiguren beschränkt. Auch hätte mich neben der Perspektive von Carmel und Barry die Sichtweise von Morris interessiert, der trotz Barrys starker Gefühle für ihn und seines ungewöhnlichen Werdegangs als Jugendmeister im Boxen, ehemaliger Stipendiat und Mathematik-Student neben extravaganten Figuren wie Miss Merty oder Maxine blass geblieben ist.

 

4 Sterne ****

 

Allgemeine Angaben zum Buch:

  • Originaltitel: Mr. Loverman
  • Herausgeber: Tropen
  • Erscheinungsdatum: 18. Februar 2023
  • Seitenzahl: 336
  • ISBN-10: 3608504893
  • ISBN-13: 978-3608504897
  • Preis: 25 €