Das Labyrinth der Nacht von Bernhard Hennen

 

Ein ruhiger Beginn und Mittelteil mit verschenktem Potenzial münden in ein starkes Finale

 

Inhalt: Die Bienenhexe Leynelle, ihr Geliebter, der Jäger Laurelin sowie der der Fürstin treu ergebene Hauptmann Nanduval begeben sich auf den in der Hand von Feinden liegenden Weg zu Alathaia, die in der Bolzenspucker versteckt im Hafen von Rosan auf sie wartet. Dort harrt sie im Verborgenen aus, nachdem ihr Fürstentum Langollion von Elfenkönigin Emerelle erobert und besetzt worden ist. Doch Alathaia wäre nicht sie selbst, wenn sie sich in dieser ausweglos erscheinenden Situation bereits geschlagen geben würde. Nach wie vor hält sie an ihrem Traum von einem freien, Paradies ähnlichen Reich fest, den sie nicht aufgeben kann, und schmiedet so aus Mangel an anderen Optionen einen gefährlichen Plan. Denn sie strebt aufgrund der gemeinsamen Feindin Emerelle eine so noch nie dagewesene Allianz mit Trollen an.

 

Zur Einordnung in die Schattenelfen-Reihe

“Das Labyrinth der Nacht” stellt nach “Die Blutkönigin”, “Der Gläserne Kaiser” und “Das Eherne Wort” bereits den vierten Band der Schattenelfen-Reihe von Hennen dar, der meiner Ansicht nach wenig für den Einstieg in die Reihe geeignet ist. Im Gegensatz dazu bieten sich “Die Blutkönigin”, das mein erstes Buch aus der von Hennen ersonnenen Elfenwelt gewesen ist, oder “Der Gläserne Kaiser” eher für einen Beginn der Schattenelfen-Saga an. Denn dabei wird etwa in “Der Blutkönigin” vom Ursprung der Schattenelfen erzählt und zudem eine in der Vergangenheit angesiedelte, in sich abgeschlossene Geschichte um die Blutkönigin und deren begabtesten Krieger Vanduin Totentänzer wiedergegeben. Im “Gläsernen Kaiser” hingegen werden anfangs relevante Ereignisse aus der Blutkönigin in einer recht ausführlichen Zusammenfassung wiederholt. Das ist leider im “Labyrinth der Nacht” nicht der Fall, indem Hennen zu Beginn wenig erläutert und kaum auf die Geschehnisse der Vorgänger eingeht, die nur nach und nach nebenher eingeschoben werden.

 

Ein ruhiger, wenig ereignisreicher Einstieg in diesen Roman

Obwohl so eine detaillierte Einleitung fehlt, in der der Inhalt der vorigen Bände der Reihe zusammengefasst werden würde, ist die Handlung im “Labyrinth der Nacht” lange Zeit nicht so recht in die Gänge gekommen. Dass die Geschichte eher auf der Stelle getreten ist, ist zumindest teilweise der Situation geschuldet, in der sich wesentliche Figuren dieses Romans zu Beginn wiedergefunden haben. Denn Alathaia hat im U-Boot Bolzenspucker im Hafen versteckt auszuharren, damit sie keiner von Emerelles Gefolgsleuten entdeckt und ist damit zur Untätigkeit verdammt. Auch der Handlungsspielraum des abgründigen Rubinrosenbusches Matha Blouta, dessen Sprösslinge lebendige, sich von Lebensenergie nährende Schatten sind, ist durch den misstrauisch wachsamen Blick der Elfenkönigin eingeschränkt. So bleibt Matha Blouta nur zu beobachten und darauf zu warten, dass Emerelle Langollion wieder verlässt.

In ähnlicher Weise festgefahren stellt sich die Handlung am zweiten zentralen Schauplatz in diesem Roman dar, der aus den auf Hügeln liegenden, unter der Herrschaft des Sonnendrachens Morgenstern stehenden Stadt Caistella besteht, die von der Armee des Gläsernen Kaisers über seinen Tod hinaus weiterhin belagert wird. Beide Kriegsparteien entscheiden sich zur Untätigkeit, weil sie davon überzeugt sind, dass die jeweils andere Seite bald zum Aufgeben gezwungen sein wird. Währenddessen könnten dem Drachen, an dessen Seite der Kobold Broja verharrt, die Vorräte ausgehen. Hingegen sehen sich Kaiserin Adelayne und ihre Gemahlin Maikiko, die Tochter des Gläsernen Kaisers, mit den am Hof gesponnenen Intrigen konfrontiert, deren Erfolg sie ihren Kopf kosten könnte, indem das Reich von Haiwanan als patriarchale Gesellschaft der Herrschaft zweier Frauen bereits überdrüssig ist. Als Folge dessen tritt ein Stillstand ein, bei dem sich alle gegenseitig belauern und auf den nächsten Zug der anderen Seite warten, der etwa aus einem Attentatsversuch bestehen könnte. Insgesamt passiert dann doch aber erst einmal recht wenig. Insofern finde ich schade, dass Hennen gerade im “Labyrinth der Nacht” auf eine ausführliche Einleitung verzichtet hat, da sich dieser Roman aufgrund seines ruhigen Einstiegs dafür angeboten hätte, Ereignisse aus vorigen Bänden der Reihe zu rekapitulieren und wesentliche Figuren bei deren Vorstellung detaillierter einzuführen.

 

Zum Mittelteil, der spannender hätte ausfallen können

Obwohl nach dem ruhigen Beginn der weitere Verlauf des “Labyrinths der Nacht” ereignisreicher ausfällt, verschenkt Hennen dabei doch Potenzial, wenn er die Spannungskurve nicht in dem Maße hochtreibt, das möglich gewesen wäre. Denn aus den vom Autor geschilderten Kampf- wie Schlachtszenen hätte sich weit mehr herausholen lassen, wenn nicht einerseits eine leider oft eher ungünstige Position gewählt worden wäre, aus deren Sicht diese Kapitel wiedergegeben worden sind. Der Kampf hätte weit lebendiger wirken können, wenn Hennen sich statt für den Blickwinkel eines Beobachters, der nur einen Bruchteil dessen mitbekommt, was da gerade vor sich geht, für den einer unmittelbar am Kampf beteiligten Person entschieden hätte, die in dieser Szene tatsächlich agiert und nicht nur nebenher mit dabei gewesen ist.

Andererseits ist “Das Labyrinth der Nacht" von Hennen zwar abwechslungsreich aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, die neben der Sichtweise von Alathaia auch die der Elfenkönigin Emerelle, des Kobolds Broja, der ehemaligen Meuchelmörderin Adelayne und weiterer Figuren umfassen. Doch zeigt der Autor leider eine Schwäche bei der Entscheidung, welche Ereignisse aktiv geschildert und welche nur passiv im Rückblick wiedergegeben werden, wenn er in der Regel kapitelweise von einer Perspektive zur nächsten wechselt. Das sorgt zwar für einige überraschende Momente in Form von kurzweiligen Cliffhangern oder kleineren Twists, geht insgesamt jedoch zulasten der Spannung. Die wird dadurch auf einem eher niedrigen Level gehalten, dass Hennen sich wiederholt dafür entschieden hat, gerade in spannenden Momenten wie beispielsweise einem bevorstehenden Kampf oder einer Schlägerei auszublenden und diese damit auszusparen.

 

Zum Drachen Morgenstern als Highlight in diesem Roman und dessen starkem Finale

In fast schon konsequenter Weise lässt Hennen dann eine durch die ihr zugestandenen Ecken und Kanten zwar wenig sympathische, doch dafür umso interessantere Figur, der noch ein Minimum an Bewegungsspielraum verblieben ist, plötzlich sterben. Das hinterlässt den Eindruck, als ob der Autor diesen Roman in die absolute Stagnation treiben wollte. Auch scheint er bemüht, aus Elfen endlich die moralischen Ansprüchen genügenden Wesen, die dadurch der ätherischen Schönheit ihres Äußeren entsprechen würde, zu machen, was er ihnen so lange verwehrt hat. Denn die einst so abgebrühte Meuchelmörderin Adelayne zeigt sich den Intrige- und Ränkespielen, die am Kaiserhof vorherrschen, als Naivchen ausgeliefert, das stets fürchtet in ein Fettnäpfchen zu tappen und damit von jeder Aktion hoffnungslos überfordert ist. Und die mächtige Leynelle, die einst Kinder mordete und nach ihrer grausamen Bestrafung durch die mitschuldige Alathaia nach Rache dürstete, sinnt nun über eine friedvolle Zukunft nach, die ihr ein einfaches Leben mit ihrem Laurelin bedeuten würde.

Leben kommt in diesem Roman erst in dessen letzten Drittel auf, wenn Hennen den Fokus ein wenig von den Elfen weglenkt, indem er einem stark auftrumpfenden Drachen Morgenstern, der allen die Show stiehlt, sowie den Trollen mehr Raum gibt. Troll Schamanin Skanga ist einfach immer ein Szenendieb. Auch hat der Autor mit dem Schlussteil dieses Romans an das Finale der Blutkönigin angeknüpft, als sich seine Gruppe von Helden erneut einem gefährlichen Abenteuer im Titel gebenden “Labyrinth der Nacht“ stellen muss.

 

4 Sterne ****

 

Allgemeine Angaben zum Buch:

  • Herausgeber: Heyne
  • Erscheinungsdatum: 15. November 2023
  • Seitenzahl: 416
  • ISBN-10: 3453273346
  • ISBN-13: 978-3453273344
  • Preis: 16 €

Schattenelfen-Reihe:

  • Band 1: Die Blutkönigin
  • Band 2: Der gläserne Kaiser
  • Band 3: Das eherne Wort
  • Band 4: Das Labyrinth der Nacht

  • Band 5: Die weinende Stadt