Going Back – Wo fing das Böse an? von Gillian McAllister


Ungewöhnliches Familien-Drama mit Thriller-Elementen und Multiversum-Thematik

 

Inhalt: Familie Brotherhood, die im Vorort Crosby von Liverpool wohnt, besteht aus Mutter Jen, Inhaberin einer Anwaltskanzlei, Vater Kelly und ihrem achtzehnjährigen, ein wenig nerdigen Sohn Todd. Bei ihnen lebt der aus dem Tierheim adoptierte Kater Henry VIII. Die Brotherhoods scheinen eine ganz normale Familie zu sein, bis in der Nacht vom 29. Oktober das Drama seinen Lauf nimmt. Kurz vor Halloween ereignet sich die Katastrophe, als Mutter Jen noch länger wach geblieben ist, um beim Schnitzen von einem Kürbis auf ihren Sohn zu warten, der noch nicht nach Hause gekommen ist.

 

Jeglichen Spoiler vermeidende Meinung zum Roman in folgendem Absatz
Eine Inhaltsangabe, die mehr über diesen Roman von Gillian McAllister verrät, nimmt zwangsläufig die in den ersten Kapiteln erfolgenden, unerwarteten Wendungen vorweg. Indem mich das Buch über weite Strecken weniger als Thriller, doch mehr als intensiv geschildertes Familien-Drama mit Mutter Jen in der Hauptrolle, die zur Hobby-Detektivin wird, zu überzeugen wusste, ist Going Back eines der ungewöhnlichsten Bücher, die ich bislang in diesem Jahr gelesen habe. Dabei ist das Highlight sein außergewöhnlicher Ansatz, der diesem Roman einen ganz besonderen Touch verleiht. Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht zu dessen Aufbau sagen. Denn gerade an seinem Anfang folgt bei diesem Buch ein Paukenschlag auf den nächsten und diese Twists, deren Effekt umso größer ist, je weniger zuvor darüber bekannt ist, zählen für mich zu den besten in diesem Buch.

 

Zur komplizierten Beziehung zwischen Mutter Jen und ihrem Sohn Todd
Jeder, der sich von diesem Thriller gänzlich überraschen lassen will, sollte ab diesem Punkt in meiner Rezension nicht weiterlesen. Denn ähnlich dem Klappentext vermag ich das nicht dieses Buch zu bewerten, ohne auf die Twists in dessen ersten Kapiteln Bezug zu nehmen. In den Mittelpunkt von Going Back stellt Gillian McAllister die Beziehung zwischen Mutter Jen und ihrem Sohn Todd. Deren schwieriges Verhältnis ist von Jens Abwesenheit geprägt. Denn stets hat sie ihrer Arbeit Priorität eingeräumt, wenn sie sich als Anwältin ganz in ihre Scheidungsfälle vertieft und ihren Mandanten gewidmet hat. So hat sie wenig Anteil am Leben ihres Sohns genommen, weil dieser als guter Schüler, der ihr keine typischen Teenanger-Probleme bereitet hat, unkompliziert auf sie wirkte. Doch dann kommt jene Nacht des von Gillian McAllister als Tag Null benannten 27. Oktobers, der zum Dreh- und Angelpunkt des weiteren Romans werden wird. Da begeht Todd ein schreckliches, für Jen gänzlich unerwartetes Verbrechen, das ihre bisherige Sicht komplett auf den Kopf stellt, als er einen ihr unbekannten Mann ersticht. Den Schock hat Jen, die nicht verstehen kann, wie ihr Sohn zum Mörder werden konnte, kaum verkraftet, als sie am nächsten Morgen aufwacht. Doch das ist nicht der nächste Tag. Stattdessen findet sie sich im Gestern (Tag minus 1) wieder.

 

Interessante Ausgangssituation für einen dadurch bedingten ungewöhnlichen Thriller
Damit hat Gillian McAllister ein interessantes Setting für ihren ungewöhnlichen Thriller gefunden. Das erinnerte mich an Zeitschleifen-Filme wie "Und täglich grüßt das Murmeltier" oder "Happy Deathday", wenn Jen Versuche unternimmt ihrer Umgebung (u.a. ihrer Familie, ihren Freunden, Kollegen, wissenschaftlichen Experten) zu erklären, dass sie sich in der Zeit nicht mehr vorwärts, sondern zurück bewegt. Going Back erzeugt dabei aber eine ganz eigene Dynamik, indem Jen, anders als das sonst der Fall ist, nicht immer wieder den gleichen Tag durchleben muss, sondern jeden Morgen noch weiter in der Vergangenheit zurück aufwacht. Durch diesen geschickten Schachzug hat Gillian McAllister die Längen, die sich in Zeitschleifen-Romanen oder Filmen durch allzu häufige Wiederholung ein und desselben Tags einstellen, vermieden.

 

Entwicklung von Jen zur Hobby-Detektivin im weiteren Verlauf
Stattdessen kann sich die Autorin ganz darauf konzentrieren, das in der von Jen in Frage gestellten Beziehung zu ihrem Sohn begründete, eindringliche Familien-Drama zu schildern. Auch entwickelt sich Jen immer mehr zur Hobby-Detektivin, die das Zimmer von Todd durchsucht, ihn im Auto verfolgt und sich seiner neuen Freundin Clio vorstellt. Denn ihre Aufgabe scheint darin zu bestehen, herauszufinden, wie ihr Sohn zum Mörder werden konnte, um die Tat zu verhindern. So erfährt Jen zunächst an jedem erneut von ihr durchlebten Tag der Vergangenheit etwas Neues, das zur Lösung des Falls beiträgt, ihr aber beim ersten Mal meist wegen ihrer Arbeit entgangen ist, und enthüllt so nach und nach die in ihrer Familie begrabenen Geheimnisse.
Beim starken Beginn von Going Back hat Gillian McAllister mich mit der Vielzahl von Mysterien überzeugt, mit denen Jen plötzlich konfrontiert ist. Dadurch wurde ebenso wie durch die unerwarteten Wendungen, die die Grundlage für das von der Autorin etablierte Setting darstellen, Spannung erzeugt. Aufgrund des Albtraums, in den sich Jens Familienidylle verwandelt hat, entwickelt sie sich mehr und mehr zur Miss Marple. Damit kommt sie den kriminellen Machenschaften, die sich in das Leben ihres Sohns eingeschlichen haben, auf die Spur. Zugleich unternimmt Jen Versuche der Art von Zeitschleife, in die sie geraten ist, auf den Grund zu gehen, um diese zu beenden. Dabei habe ich deren Dynamik als besonders interessant empfunden, da diese zu einem ungewöhnlichen Timing geführt hat, indem Morgen nicht Morgen, sondern Gestern oder ein weiter in der Vergangenheit zurückliegender Tag ist.

 

Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge
Going Back hatte für mich jedoch Längen in seinem Mittelteil, indem Jens fortwährend geschürte Zweifel, die sie in zunehmendem Maße ihrer Familie entgegenbringt, erst das Drama intensivieren, dann aber den Punkt erreichen, an dem sie sich im Kreis zu drehen beginnen, wenn Gillian McAllister diesen keinen wesentlichen Aspekt mehr hinzuzufügen hat. Damit meine ich insbesondere die Kapitel, die die Tage behandeln, an denen Jen nichts grundlegend Neues über ihre Familie herausgefunden hat. Der Spannungskurve hätte an diesen Stellen gut getan, wenn die Autorin ihre Geschichte, die sonst mehr zum sich wiederholenden Familien-Drama verkommt als an einen Thriller erinnert, mit stärkerem Fokus auf die übergeordnete Miss Marple-Zeitreisen-Handlung erzählt hätte. So wären unnötige Längen vermieden worden, indem sich der Roman dann mehr auf die Klärung der von Jen zu lösenden Rätsel konzentriert hätte.
Auch der Schluss von Going Back konnte mich nicht vollends überzeugen, da ich den finalen Twist, der da für Jen gänzlich unerwartet gekommen ist, mangels vorhandener Alternativen schon sehr früh habe kommen sehen. Weil Gillian McAllister in ihrem übrigen Roman das Familien-Drama derart in den Mittelpunkt gestellt hat, hätte ich eine Auflösung, die ausschließlich Jens Familie mit einbezieht, als stimmiger empfunden. Indem das von der Autorin gefundene Ende so für mich nicht ganz zum Rest des Romans passen will, hätte sich als Alternative zur Fokussierung auf das Familien-Drama angeboten zuvor eingeführte, interessante Nebencharaktere außerhalb der Kernfamilie von Jen stärker aufzubauen und in die Handlung zu integrieren. Dafür hätten sich neben den in den allerletzten Abschnitten dieses Buchs eine Rolle spielenden Figuren auch der extrem logisch denkende Rakesh Kapoor, der Jens ältester Freund und Kollege ist, Jens Mandantin und Privatdetektivin Gina Davis, die in ihrer Scheidung erst nur die Möglichkeit zur Bestrafung ihres Ehemanns sieht, und der charismatische Kriminelle Joseph Jones angeboten.

 

4 Sterne ****

 

Allgemeine Angaben zum Buch:

  • Originaltitel: Wrong Place, Wrong Time
  • Herausgeber: Piper
  • Erscheinungsdatum: 27. April 2023
  • Seitenzahl: 432
  • ISBN-10: 3492064167
  • ISBN-13: 978-3492064163
  • Preis: 17 €