Gelungener, abwechslungsreich erzählter, magischer Trilogie Auftakt
Inhalt: Atlas Blakely, der Kurator der Großen Bibliothek von Alexandria ist, wählt für das alle zehn Jahre
stattfindende Programm eine neue Klasse aus. Diese besteht aus sechs Kandidaten, die für ein Jahr lang in der Bibliothek leben und dort alles über ihre Aufgaben lernen werden, sofern sie das
Angebot annehmen sollten. Dazu gehören die Physiomagier Libby Rhodes und Nicolás Ferrer de Varona, die gerade an der New York University of Magical Arts ihren Abschluss gemacht haben, die
Naturmagierin und Kellnerin Reina Mori, der Illusionist und Investmentanalyst Tristan Caine, der Empath Callum Nova und die so schöne wie manipulative Telepathin Parisa Kamali. Alle entscheiden
sich für die Herausforderung, ein Jahr ihres Lebens der Bibliothek zu widmen. Doch nur fünf von ihnen werden bestehen.
Figuren und Charakterisierungen:
The Atlas Six ist der erste Band einer Trilogie. Dabei setzt sich die Gruppe der Titel gebenden sechs aus ebenso vielen andersartigen Charakteren mit fast so vielen verschiedenen magischen
Fachgebieten zusammen:
Libby und Nico, die nicht nur ähnlich stark sind, sondern auch das gleiche magische Fachgebiet haben, standen deswegen schon ihr ganzes Studium über in fortwährender Konkurrenz.
Dabei musste die unsichere, leicht nervöse Libby, die vom frühen Verlust ihrer großen Schwester geprägt ist, um alles kämpfen, was dem aus einer wohlhabenden Medäer Familie stammenden Nico, dem
mit seinem Charme die Sympathien von Mitschülern und Lehrern gehörten, nur so zugeflogen ist. Dass Nico auch das Stipendium erhalten hat, das Libby unbedingt haben wollte, hat ihren Wunsch zu
beweisen, dass sie nicht schlechter als Nico ist, nur verstärkt. Einziger Lichtblick in Libbys Leben ist ihr ehemaliger Studienberater Ezra Fowler, der nun ihr Freund ist, mit dem sie
zusammenlebt. Nico hingegen hat eine Seite, von der Libby nichts ahnt. Denn er kümmert sich aufopfernd um seinen Freund und Mitbewohner Max, indem er alles in seiner Macht stehende unternimmt, um
Max vor seiner Mutter zu schützen. Denn Max hat es aufgrund seiner ungewöhnlichen Herkunft und besonderen Begabung in seinem Leben nicht leicht gehabt.
Reina, die sich lieber ihren Büchern widmet und meist ziemlich verschlossen ist, verweigerte sich ihrem Fachgebiet der Naturmagie, obwohl jeder Grashalm, Samen oder Farn sie
darum anbettelt. Mutter nennen die Pflanzen Reina, auf deren Stimmungen sie höchst sensibel reagieren. Konsequenterweise hat Reina nicht in Tokyo Naturmagie studiert, um für einen Agrarkonzern
tätig zu werden, sondern die Magie der Antike in Osaka. Als Historikerin brennt Reina auf das Wissen und die alten, während ihres Studiums als verschollen geltenden Schriften, die die
Alexandrinische Bibliothek ihr bieten kann.
Tristan fällt durch einen zynischen Wesenszug auf. Eigentlich ist er kein Illusionist, da seine Stärke nicht darin liegt, Illusionen zu erschaffen, sondern sie zu durchschauen.
Tristan ist mit der hübschen Eden Wessex verlobt. Edens Vater ist der milliardenschwere Investor James Wessex, für dessen Investmentfirma Tristan als Analyst arbeitet. Die Wessex sind eine der
reichsten Medäer Familien Londons, in die Tristan in kalkulierter Weise einheiraten will. Seine eigene Familie ist weit weniger glorreich. Adrian Caine, der Hexer und Tristans Vater ist, ist eine
Größe in der Londoner Unterwelt.
Callum, der recht oberflächlich wirkt, schafft es als Empath fast immer seinen Willen durchzusetzen, indem er andere dazu hypnotisiert. Angestellt ist er im Familienkonzern, der
mittels Illusionen einer der erfolgreichsten Medienkonzerne der Welt ist. Dessen Hauptgeschäft ist die Schönheit. Da Callum nur ein Leben in Reichtum und im Überfluss kennt, fehlen ihm der Hunger
und die Gier nach Macht. Ein Empath seines Formats könnte sonst leicht in einen Tyrannen verwandeln, wenn er auf den Gedanken kommt, die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Parisa, die ursprünglich aus Teheran stammt, nun aber in Paris lebt, ist außergewöhnlich schön. Das verdankt sie keiner Illusion. Ihre Schönheit ist echt. Parisa, die so klug und
talentiert wie manipulativ ist, hat das gleiche Fachgebiet wie Atlas. Beide sind Telepathen. Ihr Geld verdient Parisa mit falschen Versprechen. Und obgleich sie sich früher gut mit ihren
Schwestern verstanden hat, ist sie nun allein, da sie so am besten funktioniert.
Magische Welt:
Zu Beginn werden neben der Alexandrinischen Bibliothek und deren Kurator auch die sechs Kandidaten vorgestellt. Das ist dann eine Reise in nur wenigen Stunden quer über die Kontinente. Denn von
New York geht es über Tokyo und London bis nach Kapstadt und über Paris zurück nach New York. Dabei erweckt Olivie Blake nicht nur die legendäre große Bibliothek von Alexandria zum Leben, um
diese mit phantastischen Elementen anzureichern, sondern erschafft eine ganze eigene, von Magie durchdrungene Parallel-Welt, die von Medäern, Hexen, Wesen und so vielem mehr bevölkert wird. So
befindet sich etwa der erfolgreichste Medienkonzern der Welt, der sich auf Schönheit spezialisiert hat, fest in der Hand von Illusionisten. Agrarkonzerne bedienen sich der Hilfe von Naturmagiern.
Und es gibt sogar magische Risikokapitalgesellschaften, die sich der Finanzierung innovativer Medäer-Technologien etwa zur Erschließung alternativer Energiequellen widmen. Zudem reisen Medäer
mittels eines weltweiten magischen Transportnetzes von London nach New York oder vice versa.
Spannungsbogen und Aufbau:
Der Einstieg in diesen Roman ist rasant, weil der erste Tag der sechs in der Alexandrinischen Bibliothek alles andere als ruhig und friedlich verläuft. Dabei sind die Kampfszenen gut geschrieben,
denen ihre magischen Komponenten eine ungewöhnliche Wirkung verleihen. Auch werden da schon die Fronten gezogen, als sich die drei älteren gegen die drei jüngeren Auserwählten stellen, d.h. die
Illusionisten und die Telepathin gegen die Physiomagier und die Naturmagierin. Diese Allianzen wechseln, bis sie sich dann im weiteren Verlauf dieses Romans in ein abgründiges moralisches Dilemma
steigern. Das ist so geschickt wie abwechslungsreich von der Autorin erzählt. Denn jedes Kapitel schildert die Ereignisse aus Sicht von einem der sechs, um dann reihum durchzuwechseln. So hatte
ich Gelegenheit jeden der Atlas Six näher durch die ihm eigenen Gedankengänge kennenzulernen, habe aber auch jeden in der Betrachtung von außen erlebt, wenn ich diesen auch durch die Augen eines
seiner Konkurrenten gesehen habe, der ihn oder sie weniger gut leiden konnte. Dabei sind sich keine zwei der Atlas Six so ähnlich, indem diese sich charakterlich stark voneinander unterscheiden,
dass ich beim Lesen Gefahr gelaufen wäre, diese zu verwechseln und so den Überblick zu verlieren.
Mein Leseeindruck und Fazit:
Diese durch die Perspektiven rotierende Erzählweise hat für mich zur Spannung dieses Romans beigetragen. So konnte mich dieser auch fesseln, obwohl in dessen Mittelteil an sich nicht sonderlich
viel passiert ist. Dazu tragen auch die Zeitsprünge bei. Denn die Autorin schildert die Ereignisse eines ganzen Jahres in diesem Roman. Interessiert haben mich dabei die wechselnden Themen des
Unterrichtsstoffs, mit dem sich die Atlas Six im Rahmen ihrer Ausbildung für die Alexandrinische Bibliothek auseinanderzusetzen haben. Begonnen hat dies bei der Magie der Antike, behandelte zudem
grundlegende Überlegungen zum Wesen von Raum und Zeit, die von der Erschaffung eines Wurmlochs gekrönt wurden, und reichte bis zur Auseinandersetzung mit der Verwandtschaft von Astralebenen zu
Reichen in Träumen.
The Atlas Six hat mich als abwechslungsreich erzählter, starker Trilogie Auftakt überzeugt, dessen zentralen Twist ich so nur zur Hälfte habe kommen sehen. Da das für mich unerwartete Finale
recht offen endete, bin ich nun schon auf den nächsten Band der Reihe gespannt.
4,5 Sterne *****
Allgemeine Angaben zum Buch:
Atlas-Reihe: