Explizit erzählte, provokante Stories über unerwiderte Zuneigung und toxische Beziehungen
Inhalt: Ari hat es geschafft. Im von ihr gegründeten Unternehmen Ghost Lover beantworten Expertinnen
anstelle der Kundinnen Nachrichten und haben so schon viele glückliche Beziehungen ermöglicht. Damit ist Ari derart erfolgreich, dass sie überall erkannt wird, sich auch die kostspielige Villa in
Malibu direkt am Pacific Coast Highway leisten kann, über deren Preis sie ihre beste Freundin belogen hat, und eine Beziehung mit dem extrem gut aussehenden Fotografen Jeff führt, der sie zu
allen Veranstaltungen begleitet. Aber hat sie die Trennung von ihrem Ex-Freund Nick, die sie zu Ghost Lover inspiriert hat, tatsächlich verwunden, wenn Nick und sie nun schon lange befreundet
sind?
Große Bandbreite an weiblichen Hauptfiguren in den verschiedenen Stories
Neben der Titelgebenden Geschichte “Ghost Lover” enthält diese Sammlung acht weitere Stories von Lisa Taddeo, die fast ausschließlich aus weiblicher Sicht geschildert sind. Darin deckt die
Autorin eine große Bandbreite ab, indem die in der jeweiligen Geschichte in den Mittelpunkt gestellte Hauptfigur von einer einflussreichen, wohlhabenden Karriere-Frau und einer Golf spielenden
Gutsverwalterin, die ganz nah dran am Luxus ihrer Arbeitgeber ist, über eine hoch verschuldete Requisiteurin bis hin zum Geist einer bereits Verstorbenen reicht, die deren Freundin über ihren Tod
hinaus im Auge behält. Dabei wechseln die Schauplätze von Los Angeles, über Boston und nach Manhattan, ohne dass dem von der Autorin eine größere Bedeutung beigemessen wird, da sie kaum am
Erkunden der genannten Städte interessiert ist und sich stattdessen in den Abgründen, die sich in den Gedankengängen ihrer Figuren auftun, verliert.
Vom Drama im Leben der Protagonistinnen
Neben unerwiderter Zuneigung und wenig befriedigten Bedürfnissen treiben diese Frauen auch andere Sorgen um. Ari, die Protagonistin von Ghost Lover, hat alles, was man sich
wünschen kann. Doch statt ihren Wohlstand zu genießen und sich in der Rolle als Vorbild vieler Frauen zu gefallen, quält sie sich tagein tagaus mit dem fortwährenden Zählen von Kalorien, indem
sie sich schon lange darum bemüht abzunehmen. Requisiteurin Jane braucht dringend Geld, um ihre hohen Schulden zu begleichen, die sie erdrücken. Nachdem sie erfolglos ihr iPhone online zum
Verkauf angeboten hat, überlegt sie sogar, sich von ihrem einzig wertvollen Besitz zu trennen. Das ist ein ungewöhnliches Gemälde, das sie einst als Geschenk erhalten hat. Besonders eindringlich
ist in diesem Zusammenhang aber die Geschichte “Padua, 1966” geraten, in der die Abwärtsspirale, in die sich das Leben der schönen Miranda verwandelt hat, aus Sicht ihrer bereits
verstorbenen Freundin beschrieben wird. Vor ihrem tiefen Fall beschränkten sich Mirandas Probleme, die als Frau ihres Ehemanns Luke zur weißen Oberschicht gehört hat, darauf eine Beziehung zu
ihrer Tochter Caroline aufzubauen, die von ihrem Vater abgöttisch geliebt wird. Miranda selbst fand einen Weg aus ihrer kleinen, perfekten Welt auszubrechen, wenn sie das von ihr gesuchte
Abenteuer in der letzten, verdreckten Absteige gefunden hat, um sich erst dann lebendig fühlen zu können. Von da an beginnt ihr Niedergang, als sie in die Drogensucht abrutscht und nach dem
Rausschmiss aus ihrem Zuhause unter einer Brücke schlafen muss. Auch ihre Tochter darf sie nicht sehen, für die ihr Ex-Mann das alleinige Sorgerecht hat.
Im Fokus stehende leidenschaftliche Zuneigung der Frauen mit beinah manischen Zügen
Im Mittelpunkt der Stories von Lisa Taddeo steht jedoch eine die jeweilige Figur beherrschende Zuneigung, die fast schon manische Züge annehmen kann. Ari von Ghost Lover hat die Trennung von
ihrer ersten Liebe Nick, den sie kurz nach dem College auf einer Party getroffen hat, nie verwunden. Ihre gesamte Existenz kreist um Nick, indem sie zielstrebig einen Master Plan verfolgt, mit
dessen Hilfe sie ihn zurückzuerobern gedenkt. Dazu zählen ein Diät, damit sie das Gewicht erreicht das Frauen haben, die Nick gefallen, sowie der Erfolg, den sie sich hartnäckig mit ihrem
Unternehmen erarbeitet hat inklusive ihrer Einstellungspolitik, die sie ausschließlich schlanke, hübsche Frauen auswählen lässt, die genau Nicks Typ wären. Joan, die single Karriere-Frau Anfang
vierzig aus Manhattan, optimiert ihr Leben, das in ihrer Freizeit aus Training, Workout und Terminen bei ihrer Psychotherapeutin besteht. Sie hat eine ausgeprägte Schwäche für junge Männer, was
sich umso schwieriger gestaltet, je älter sie wird. Dabei hat es ihr ein arbeitsloser Schauspieler extrem angetan, dem sie Kontakte vermittelt, um sich seine Aufmerksamkeit zu sichern. Jede
dieser Frauen jagt ihrer wenig oder zumindest nicht in der Form wie gewünscht erwiderten Zuneigung hinterher, der sie alles andere unterordnet. Besonders intensiv ist in dieser Hinsicht die Story
“Grace Magorian” geraten, in der die einundfünfzigjährige Protagonistin Grace Golf mit einem jungen Paar spielt, das sich über die Dating-App Venus kennengelernt hat. Während
Grace diese App ausprobiert, stößt sie auf das Profil eines Mannes, den sie erst als zu gut, um wahr zu sein, dann jedoch als absolut perfekt für sich erachtet. Ohne diesen Mann auch nur ein
einziges Mal gesprochen, geschweige denn getroffen zu haben, versinkt sie in der Vorstellung von dem vollkommenen Leben, das sie mit ihm führen wird, da er DER Eine ist, den sie liebt. Die
Illusionen, denen Grace sich hingibt, werden, ob der von seiner Seite ausbleibenden Reaktion, immer überzogener und nehmen beinahe absurde Züge an. Lisa Taddeo gelingt es aber ihre Geschichte
dadurch in der Spur zu halten, dass sie parallel zur Gegenwart, in der sich Grace mit der Dating-App auseinandersetzt, Ereignisse aus ihrer Vergangenheit wiedergibt. Nachdem sie früh ihren Vater
verlieren musste, hatte sie aufgrund des komplizierten Verhältnisses zu ihrer Mutter, die in der Vernachlässigung ihrer Tochter schon deren Geburtstag vergessen hat, und wegen des Missbrauchs
durch ihren Stiefvater eine schwere Kindheit. Ihre Weigerung sich selbst als Opfer zu erkennen, lässt sie das erlittene Trauma nur verdrängen, nicht verarbeiten. So verdeutlicht die Autorin, wie
Grace zu der Frau werden konnte, die sie im Hier und Jetzt ist.
Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge
Stärker wären die Stories ausgefallen, wenn Lisa Taddeo der Versuchung widerstanden hätte, diesen zu ihrem Ende hin eine unerwartete Wendung hinzuzufügen, die ich nur im Fall der Titelgebenden
Geschichte Ghost Lover als schlüssiges Finale angesehen habe, in dem die in deren Zentrum stehende toxische Beziehung ihren Höhepunkt gefunden hat. Dieser gewollte Schluss, der die Stories selten
abrundet, beraubt die zuvor aufgebaute Intensität um einen Teil ihrer Wirkung. Denn die an sich stimmige Charakterisierung der jeweiligen Hauptfigur wird geopfert, wenn diese im letzten Moment um
eine neue Komponente ergänzt wird, die lediglich einem flüchtigen Überraschungseffekt dient. Ohne das wären die Stories eher Momentaufnahmen aus dem Leben von deren Protagonistin, die durch deren
meist zusätzlich eingeschobene Vergangenheit näher beleuchtet werden.
Die in "Ghost Lover" gesammelten, ungewöhnlichen Kurzgeschichten grenzen sich deutlich von anderen Kurzgeschichtenbänden ab, indem Lisa Taddeo weder einen provokanten Schreibstil noch vulgäre
Beschreibungen oder eine Vielzahl expliziter sexueller Szenen scheut. Dahin lenkt die Autorin den Fokus beim Lesen, so dass der Rest der Story im Kontrast dazu leicht untergehen kann. Das
empfinde ich als schade, weil Lisa Taddeo diese um Aufmerksamkeit heischenden Szenen gar nicht nötig hat. Denn trotz der Kürze ihrer Geschichten überzeugt die Autorin mit dem Ausloten der
komplexen Charakterisierung ihrer nie eindimensionalen Hauptfiguren und einem Schwerpunkt in der Schilderung toxischer Verhältnisse, die auch deren Ursprung ergründet.
4 Sterne ****
Allgemeine Angaben zum Buch: