Moorland von Annie Proulx

 

Ein wichtiges Thema, das leider zu wenig im Mittelpunkt steht

 

Moorland ist immer dann besonders stark geraten, wenn Proulx in ihrem Essay-artig anmutenden Text persönliche Erlebnisse mit einfließen lässt und sich an eigenen Erinnerungen orientiert. Dazu zählt etwa eine frühe Begebenheit aus ihrer Kindheit, als sie ihrer Mutter folgend den Weg durch ein Moor finden sollte. Dabei sind sie von einer Insel aus Trockenheit im sumpfigen Wasser zur nächsten gesprungen, bis der Weg der kleinen Annie von einer Radnetzspinne blockiert wurde. An diesem Hindernis ist sie in jungen Jahren gescheitert und musste so ihre erste Durchquerung der Moore aufgeben. In ihrem Buch nimmt Proulx dieses Erlebnis zum Anlass, nicht nur die betörende Schönheit einer Moorlandschaft zu beschreiben, sondern auch ihre Gedankengänge zum von der Spinne gewobenen Stabilimentum auszuführen. Laut verschiedenen wissenschaftlichen Ansichten könnte das Stabilimentum dazu dienen, Beutetiere anzuziehen, Geschlechtspartner anzulocken, die Spinne vor Raubtieren zu schützen oder das Netz gegen zufällig dagegen fliegende Vögel abzusichern. Die offensichtlichste und einfachste Erklärung, dass das Stabilimentum dem Netz schlicht und ergreifend mehr Stabilität verleihen kann, wird in der Vielzahl wissenschaftlicher Meinungen jedoch außen vor gelassen.

 

Vom persönlichen Bezug der Autorin zum Moor

In solchen Passagen hat Moorland mein Interesse durch seine ungewöhnliche Erzählweise geweckt, die einerseits einen besonderen Einblick in Proulx' Kindheit gegeben hat. Dies ist vom sympathischen Zug der Autorin, ihre eigene Angst als Kind vor einer Spinne, die sie daran gehindert hat, ihrer Mutter weiter durchs Moor zu folgen, in keiner Weise zu beschönigen, unterstrichen worden. Andererseits hat Proulx mir spannende Fakten zur Radnetzspinne oder eher Möglichkeiten zur Interpretation von deren Lebensweise geliefert, die mir zuvor nicht bekannt gewesen sind. Auch lässt sie an diesem konkreten Beispiel anklingen, wie wenig wir doch über die Wunder der im Moor lebenden Tiere wissen, die für uns nach wie vor mit vielen Mysterien behaftet sind.

Ein weiteres Beispiel für die Verknüpfung ihres eigenen Lebenswegs mit dem Moor fällt in die Jahre, die Proulx in Port Townsend, Washington gelebt hat. Denn während dieser Zeit hat sie das Steilufer von North Beach in Fort Worden besucht und als ein Stück davon heruntergebrochen ist, konnte sie das in intensivem Blau leuchtende Mineral Vivianit bestaunen, das dort in die Schichten eingebettet ist. Von da spannt Proulx den Bogen über den in den Alpen entdeckten mumifizierten Ötzi, der mit Vivianit gesprenkelt ist, bis hin zum Gemälde “Bei der Kupplerin”, in dessen Hintergrund von seinem Maler Vermeer ebenfalls Vivianit verwendet wurde.

 

Politische Ansichten, Pandemien, Viren und ähnlich gelagerte Themen

Moorland lebt von derartigen Erinnerungen von Proulx, die leider nur an wenigen Stellen auftauchen und damit viel zu selten im Buch vorkommen. Davon hätte ich mir weit mehr gewünscht. Stattdessen ist der Essay-artige Text oft um Füllsätze angereichert, die an Phrasen erinnern und allgemein gehalten sind. In diesem bringt die Autorin ihre politischen Ansichten zum Ausdruck, hält sich nicht mit Kritik an Unternehmen im Speziellen sowie dem Kapitalismus im Allgemeinen zurück und rückt Pandemien in den Fokus, wenn sich stets eine noch so weit hergeholte Möglichkeit finden lässt auf Viren und ähnlich gelagerte Themen einzugehen. Das schließt etwa die Entwicklung neuer Antibiotika mit ein. Indem ich jedoch erwartet hatte, ein Buch vorzufinden, in dessen Mittelpunkt die Moore stehen, hat mich das wiederholte Abschweifen der Autorin von ihrem eigentlichen Thema dann doch überrascht und zugegebenermaßen auch ein wenig enttäuscht zurückgelassen. Denn ich war davon ausgegangen, dass in diesem Werk im Hinblick auf Viren höchstens die Malaria von Relevanz wäre.

 

Phasenweise deutliche, fast schon drastische Rhetorik den Klimawandel betreffend

Bücher zu Pandemien, Viren oder zum Klimawandel, die teilweise ebenfalls von dramatischer Rhetorik geprägt sind, gibt es hinreichend viele, jedoch nur wenige, die die gefährdeten Moore in ihren Mittelpunkt stellen. Da hätte ich mir gewünscht, dass sich Proulx mehr auf das Alleinstellungsmerkmal in Moorland konzentriert hätte, das ihr Buch deutlich von so vielen anderen Werken hätte abheben und unterscheiden können, und die Essays zum Klimawandel und mehr den entsprechenden Experten, unter anderem Klimaforschern oder Virologen, überlassen hätte. Obwohl Proulx zu Beginn von Moorland angekündigt hat, auf Fachvokabular verzichten zu wollen, kommt sie in den Abschnitten, die auf Moore im Allgemeinen und Moorlandschaften im Speziellen eingehen, dann doch nicht ganz ohne aus. Dabei sind diese Passagen oft derart knapp gehalten in deren komprimierter Beschreibung, dass sie sich eher als Nachschlagewerk anbieten. Indem Moorland das erste Buch über Moore gewesen ist, das ich gelesen habe, wäre es mir weit leichter gefallen, den Ausführungen von Proulx zu folgen, wenn sie die für Moore relevanten Themen detaillierter behandelt hätte. Dafür hätte sie Ausführungen zu ihren politischen Ansichten und zum Klimawandel, wenn sie diesen in seinen drastischen Auswirkungen durch extrem gewähltes Vokabular zu betonen sucht, beschränken können, um die Moore als eigentlichen Hauptakteur in ihrem Buch nicht wiederholt in den Hintergrund treten zu lassen.

 

Abgedeckte Themen anhand von Beispielen im Hinblick auf Moore

Denn die Abschnitte, die sich mit für Mooren spezifischen Themen auseinandersetzen, haben mich am meisten an diesem Buch interessiert. Das beginnt bei der Definition von Niedermoor, Hochmoor und Waldmoor, die dabei Mitsch und Gosselink folgend unterschieden werden, reicht über die Kategorisierung von Feuchtgebieten, die sich grundlegend anhand von Geographie, Topographie, Hydrologie sowie Chemie oder aber auch mittels anderer Klassifizierungen wie der nach Cowardin, die u.a. Meeres-, Mündungs- und Flussfeuchtgebiete umfasst, oder der nach Cook-Inlet, die sich an den Bedürfnissen der Landbewirtschafter in Alaska orientiert, beschreiben lassen, und der Auflistung der größten Moorgebiete der Welt bis hin zum Torf, was die Geschichte seines Abbaus und seiner Nutzung mit einschließt.

 

Zur Bebilderung sowie zu poetischen Beschreibungen von Moorlandschaften

Spärlich bebildert ist Moorland unter anderem durch die Zeichnung des Abenteuers mit Krauskopfarassaris von Whymper oder eine Fotografie eines Schwimmbaggers am Ufer des Kankakee. Stattdessen hätte ich mir in Farbe gehaltene Abbildungen erhofft, die die faszinierende Schönheit, die einem Moor innewohnen kann, zeigen. Proulx als Pulitzerpreisträgerin (Fiktion!) gelingt es in den leider nur sporadisch in Moorland eingebauten Abschnitten, die Schönheit einer Moorlandschaft heraufzubeschwören und lediglich durch die von ihr dazu gewählten Worte vor meinem inneren Auge lebendig werden zu lassen. Davon hätte ich mir weit mehr gewünscht. Denn für mich ist etwa das Highlight der unterbewerteten Serie “Swamp Thing” die irritierende Schönheit gewesen, die eine Sumpflandschaft wie die, die Lebensraum und Heimat des Swamp Thing ist, besitzen kann. Zuvor ist mir gar nicht bewusst gewesen, welche Schönheit einem Moor innewohnen kann, das ich als düster oder gar unheimlich angesehen habe, wenn es meiner Vorstellung nach nur zu einem eher im Horror Genre angesiedelten Werk gepasst hätte.

 

3,5 Sterne ****

 

Allgemeine Angaben zum Buch:

  • Originaltitel: FEN, BOG, & SWAMP. A short History of Peatland destruction and its Role in the climate crisis
  • Herausgeber: Luchterhand Literaturverlag
  • Erscheinungsdatum: 11. Oktober 2023
  • Seitenzahl: 256
  • ISBN-10: 3630877265
  • ISBN-13: 978-3630877266
  • Preis: 24 €